Liebe BesucherInnen,
heute möchte ich Ihnen eine weitere meiner Anekdoten aus Korsika vorstellen: Is(s)t man auf Korsika im Restaurant zu spät, macht man korsische Diät …
Wie jeden Sommer kehrten wir nach unseren Bergwanderungen an der Seengruppe bei Corte in eines unserer Stammlokale ein, einem Restaurant auf dem Place de Paoli im Zentrum der Stadt. Wir genossen die leckere leichte lokale Küche, die Gitarrenmusik und den sommerlichen Trubel der Stadt. Nach der Stille der Berge, der wilden Natur um den Melo und Capitellusee herum, tat uns das ebenso gut, wie die Ruhe.
Der Wirt begrüßte uns jedes Jahr persönlich freundlich und servierte uns jedes Mal einen Apero und einen Digestif auf Kosten des Hauses für seine lieben Stammkunden, sogar ein paar Worte Deutsch hatte er dazugelernt.
Dann im Winterurlaub kamen wir auch wieder in Corte vorbei und kehrten auf dem Place de Paoli in das kleine Restaurant ein, das zur Pizzeria gehörte, und anstelle des sommerüberladenden Lokals geöffnet hatte. Auch hier wurden wir reichhaltig mit Hartwurstwarenplatten, Pasteten, frischen Salaten, leckeren Wildschweinragouts, hausgemachten Gnocchi, Lasagne und Cannelloni bewirtet. Auch der Nachtisch mit lokaler Käseplatte, Kuchen und Eis waren ausgezeichnet, wie der dazu gehörende Wein, Muskat und Magenbitter … und alles für einen interessanten Preis …Café und hausgebackene süße Krapfen, gingen auf die Kosten des Hauses…
Für uns war das unsere Stammadresse geworden …
Einige Jahre später, als ich schon auf der Insel lebte, machte ich eine Rundfahrt mit einer Freundin, die mich besuchen gekommen war. Sie wollte mich auf jeden Fall zum Essen einladen und sie bestand darauf, dass ich ihr eine gute Adresse, sprich ein sich lohnendes Restaurant, empfehlen sollte. Da ich einfach kein anderes im Sinn hatte, machten wir uns also auf nach Corte. Es war wieder Winter, wir hatten eine Art Langlaufskiwanderung in der Gegend gemacht, so sehnten wir uns einfach nach einem leckeren rustikalen Mahl, nah am Kaminfeuer, wie es in unserem kleinen winterlichen Stammlokal, auf dem Place de Paoli üblich war.
Es war gegen 21 h 30 als wir einkehrten. Einige Gäste saßen beim Essen an den Tischen, aber ich fragte trotzdem den Ober (unser Wirt schien nicht da zu sein), ob es noch möglich sei zu speisen. Er schaute uns griesgrämig an und entgegnete, dass es schon ein wenig spät sei. Aber ich zeigte auf die speisenden Gäste und erklärte, dass wir extra von weit her kamen, um bei ihnen einzukehren und das wir Stammkunden seien. Natürlich fragte ich auch, ob der Herr Wirt da sei. Der Ober schaute uns mit dem unsympathischsten Ausdruck an, den er aufsetzten konnte, wies uns aber einen Tisch in der Ecke neben dem WC zu. Wir warteten fast eine halbe Stunde, bis er wieder kam. Währenddessen hatten die anderen Kunden ihr Mal beendet und verließen einer nach dem Anderen das Lokal. Wir blieben also die Einzigen und die Letzten. Die Musik wurde ausgestellt und auch das Ambiente, Elektrokerzenlicht auf den Tischen, wurde von einer grellen Halogenlampe am Tresen ausgetauscht. Der Ober räumte die Tische ab, begann mit dem Fegen des Bodens, schippte den Staub in das Kaminfeuer, welches aufzischte und unangenehmen Qualm verursachte und stellte die Stühle auf die Tische. Dann kam er wie zufällig wieder an unseren Tisch und fragte was wir trinken wollten. Wir bestellen und er ließ uns noch eine weitere halbe Stunde warten; diesmal hörte man geräuschvoll das Geschirr in der Küche klappern. Es roch stark nach Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Schließlich brachte er die Getränke und fragte ob wir wirklich noch Essen wollten. Ich antwortete mit ja und fragte nach der Karte. Die Antwort kam schneller als die Bedienung, es gäbe nur noch das Einheitsmenü: Salat, Lasagne, Cannelloni und Fiadone als Nachspeise. Wir bestellten also zwei Menüs und zu unserem Erstaunen kam das Essen schneller als wir dachten. Ich hatte meiner Freundin erklärt, dass alle Speisen im Kaminfeuer zubereitet werden, doch das Feuer war am Ausgehen und der Herr Ober servierte uns schon den Salat, die Cannelloni, die Lasagne und den Fiadone gleichzeitig. Und er kam gleich darauf mit der Rechnung auf dem Teller zurück …
Wir widmeten uns erst dem Essen. Zum Glück, denn uns vielen fast die Augen heraus: Meine Freundin setzte ihre Lesebrille auf, um zu erkennen, was genau sich auf dem Teller befand:
Der Salat bestand aus EINEM einzigen winzigen Salatblatt, einer viertel Tomate mit Kernen, und einer HALBEN Gurkenscheibe mit Schale. Meine Freundin schaute mich finster an, da ich schon seit einiger Zeit ihr Magenknurren vernommen hatte, zumal wir den ganzen Tag über aktiven Sport betrieben hatten. Ich fragte den Ober nach Dressing und Brot, doch er schüttelte den Kopf und erklärte uns, dass sie keins mehr hätten!
Hmm, die Lasagne meiner Freundin war in einer Miniauflaufform serviert worden, so einer Art Terrinen Form, und maß ganze 3 X 4 cm!!! Auf meinem Teller hatte ich zwei Cannelloni in der Größe eines Kinderdaumens. (Man könnte annehmen, es war ein Cannelloni in zwei geteilt!) Die Füllung war dazu noch kalt.
Das Gesicht meiner Freundin verfinsterte sich immer mehr, als sie ihr Salatblatt ohne Salz und Pfeffer, ohne Öl und Essig herunterwürgte. Nachdem sie dann schweigend auch ihre Mini-Lasagne vertilgt hatte, flüsterte sie mir ungehalten zu: “Und du hast mir gesagt, das sei das beste Restaurant auf der ganzen Insel, na ehrlich, du bist nicht gerade anspruchsvoll…“ – „Bisher sind wir immer gut bewirtet worden“, flüsterte ich zurück, gerade als der Ober das Licht ausstellte und nur die Notausgangsbeleuchtung anließ. Er hatte sich schon in seinen Mantel gehüllt, und steckte sich nervös eine Zigarette an, in der offenen Tür, die einen kalten Wind hineinwehte und uns im Durchzug frösteln ließ. „Jetzt reicht es mir aber“, schrie meine Freundin fast! – Sie schob das Stückchen Fiadone beiseite, in das sie gerade reingebissen hatte, nahm ihre Tasche zur Hand und kramte nach ihrem Portemonnaie. „Wie viel?“ fragte sie mich. Ich schluckte meinen Fiadone runter und nahm die Rechnung in die Hand. Ich rieb mir die Augen, mehrmals, im Zwielicht, hielt sie Richtung der Lampe und wurde weiß wie die Wand … „das ist doch nicht möglich, zwei Menüs, eine kleine Flasche Rotwein, eine Orezza 850 FF!!!“. Meine Freundin drängte und legte einen Hundertfrancschein auf den Teller. „Das wird wohl reichen, oder?“ Sie stand auf, um ihre Jacke zu nehmen. „Herr Ober, wir möchten zahlen!“ Ich dachte. “Bist du sicher?“ Sie schaute mich erstaunt an. „Was ist denn los? Warum bist du so starr, ist dir der Obstschnaps im Kuchen in den Kopf gestiegen?“ Verneinend schüttelte ich den Kopf und schob ihr die Rechnung vor die Nase. Ihre Augen wurden größer und glühender als die Kohlen im Kaminfeuer. „Das gibt’s doch nicht, halt mich fest oder ich raste aus: acht – hundert -fünfzig Francs!!! Für diesen Scheißfraß? In Lupenmenge? Ich gehe nicht ins Restaurant, um Diät zu machen! Der hat sich sicher in einer Null geirrt, geh hin und regle das, ich spreche nicht genügend Französisch!“ Der Ober trat seine Zigarette aus und kam an unseren Tisch. Er wollte den Geldschein mit der Rechnung an sich nehmen, doch meine Freundin riss ihm den Teller aus der Hand. „Verzeigung, aber ich glaube da liegt ein Irrtum vor, für zwei Menüs und Getränke können sie doch nicht eine solche Summe nehmen!“ Er schaute mich noch griesgrämiger an und entgegnete trocken. „Das sind die Preise für Bewirtung und Service nach 21 Uhr!“ Ich schüttelte den Kopf, und blieb stur. „Zeigen sie mir bitte ihre Karte mit den Preisen, oder wir weigern uns diese Summe zu bezahlen!“ Wir hatten nicht mal so viel bei uns und in der Gegend gab es damals kaum funktionierende Bankautomaten. „Die Tageskarte wird abends entfernt und vernichtet. Wenn sie nicht zahlen wollen, dann werde ich meine Rausschmeißer rufen, die sich um sie kümmern werden, drei Muskelprotze und ehemalige Sträflinge, gewalttätig und gefährlich!“ „Na bitte sehr, sie machen uns keine Angst, meine Freundin und ich sind Judo und Karatequeens, keiner rückt uns an die Pelle.“
Der Ober wollte gerade zum Telefon gehen, als ein Geländewagen vor dem Lokal parkte und ein Herr gleich danach in den Raum trat, den ich sofort als den Wirt erkannte. Ich stürzte mich beinahe auf ihn und erklärte ihm in Kurzform alles. Erst lachte er, aber dann wurde er ärgerlich.
„Charles, das ist nicht das erste Mal, dass du meine Stammkunden abzocken willst, morgen übersende ich dir deinen letztes Gehalt und dann « a vedeci », du bist gefeuert!“
Mit einem giftigen blick nahm Charles seine Sachen und zog brabbelnd vor sich hin ab. „Meine lieben Damen, wie ich sehe, haben sie nicht gut gespeist“. Wir schüttelten verneinend den Kopf, noch immer mit knurrenden Mägen. „Na dann setzt euch hier an den Tisch vor dem Kamin, ich bereite euch persönlich eine Kleinigkeit zu …
Er schürte das Kaminfeuer, erhellte den Raum, stellte leise korsische Musik an und wenig später servierte er uns wie zu alten Zeiten ein reichhaltiges, leckeres Menü und alles, aber auch alles gratis. Da lohnt es sich doch wirklich, Stammkunden zu sein …
Liebe Grüße,
Miluna
© Miluna Tuani