Mittwoch, 23. März 2011

Mittwoch, 23. März 2011




Erzählungen aus Korsika: Matteo Falcone oder das Schicksal des Furtunatu

Die Zeit des heiligen, bindenden Ehrenkodexes, der Vindetta, der Blutrache, der Meuchelmorde, der Ehrenbanditen, die versteckt in der Maquis lebten, in der wilden, rauen Zeit der Insel, in der es noch Auge um Auge, Zahn um Zahn ging und niemand überlebte, der den korsischen Ehrenkodex verletzte …



Die Wahrung von Ehre und Recht nahmen die Korsen früher nach Kräften selbst in die Hand. Nach ihrem Ehrenkodex war ein Mann verpflichtet, schwere Kränkungen durch Mord zu rächen. Dieses „Vindetta“ genanntes Vergeltungsrecht erlebte seinen Höhepunkt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Zahl der durch Blutrache Ermordeten auf über Tausend im Jahr anstieg und unzählige „Ehrenbanditen“ sich in der Maquis versteckt hielten. Daher galt es als ein schweres Vergehen gegen den Ehrenkodex einem solchen Banditen die Hilfe zu untersagen, wenn er darum bat.

Eine Erzählung aus der rauen Vorgeschichte Korsikas zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die unweit der südöstlichen Stadt Porto Vecchio spielt, beschreibt wie weit ein Korse gehen kann, wenn jemand gegen „das heilige korsische Ehrengesetz » verstoßen hat, auch wenn es sich dabei um das eigene Kind handelt.





Matteo Falcone ist ein respektierter und angesehener Mann, der mit seiner Frau und seinem Sohn Furtunatu einen landwirtschaftlichen Betrieb besitzt. Er ist bekannt als guter Schütze und Jäger von Wildbrett sowie dafür, dass er keinem Konflikt aus dem Wege geht.

Eines Tages bricht er mit seiner Frau zu den Hochweiden auf, um nach einer Herde zu sehen. Er lässt seinen zehnjährigen Sohn Furtunatu für einige Stunden zurück, mit dem Auftrag, Haus und Hof zu bewachen.
Gerade als Furtunatu sich mit einem Stück ofengebackenem Brot und einer dicken Scheibe Ziegenkäse auf die Holzbank vor seinem aus Stein gemeißelten Landhaus setzt, hört er auf einmal lautes Geschrei aus der wilden hügeligen Maquis zu ihm hernieder schallen.
Männerstimmen schreien: « Da ist er schießt, so schießt doch! » und Gewehrschüsse folgen, aus mehren Richtung aufeinanderdonnernd und in den umliegenden Bergen widerhallend.
Furtunatu springt besorgt auf und will gerade ins Haus eilen, als er einen Mann mit zerrissener Kleidung, langen wirren Bart und schmerzverzerrten Zügen im sonnenverbrannten Gesicht auf sich zuhumpeln sieht. Furtunatu hält erschreckt inne, als der Mann ihn anruft:
« Hey du Kleiner, zeig mir, wo ich mich hier bei dir verstecken kann, habt ihr Heu in der Scheune ? Schnell, beeil dich, meine Verfolger nahen! »
Der Junge mustert den Flüchtigen von oben bis unten, doch dieser ruft ihm aufgeregt zu: « Also was ist los mit dir, willst du, dass ich dich bezahle, damit du mir das Versteck zeigst? Hier… « , er wühlt in seinen Taschen und wirft dem Jungen einige Geldstücke vor die Füße, der sie schnell aufsammelt.
« Ja, ihr könnt euch dort in der Scheune unter dem großen Heuhaufen verstecken, wehrter Hilfesuchender! »
Der Mann lächelt das erste mal und eilt, sein verletztes Bein hinter sich herziehend, in die Scheune.
Furtunatu macht sich auf ins Haus, um seine Geldstücke zu verstecken, gerade als eine Eskorte von Gendarmen hinter der Biegung, die zu ihrem Haus führt, erscheint. Die Hufe der tänzelnden Pferde wühlen Staub auf. Der Anführer der Truppe springt vom Pferd, und ruft nach dem Jungen:
« Hey Junge, hast du zufällig einen Mann auf der Flucht gesehen, der sich versucht zu verstecken? »
« Nein, Herr Hauptmann, ich habe niemanden gesehen! » – versucht er so fest und glaubwürdig zu antworten. « Wo sind deine Eltern? » « Auf den Hochweiden bei den Herden, Herr Hauptmann! »
« Mm, also Männer, schaut euch nach Spuren um », befiehlt er seinen Leuten und bereitet sich zum Abmarsch vor, als einer seiner Leute ruft: « Herr Hauptmann, seht mal hier, Blut- und Schleifspuren bis hin zu der Scheune… »
« Mein Junge, bist du sicher, dass du niemanden gesehen hast? Es handelt sich um einen gefährlichen Verbrecher, du bringst dich und deine Familie in Gefahr, wenn du ihm erlaubt hast, sich hier zu verstecken! »
Furtunatu knirscht unter Duck gesetzt mit den Zähnen. Der Hauptmann sieht seinen Konflikt und zieht eine goldene Taschenuhr aus seiner Gürteltasche und streckt sie dem Jungen vor die Nase.
« Schau, sie gehört dir, wenn du mir die Wahrheit sagst! »
Furtunatu erblickt das in der Sonne schillernde feinbearbeitete Objekt und seine Augen werden groß vor Staunen und seine Wangen rot vor Habgier. Er nimmt sie vorsichtig dem Hauptmann aus der Hand und zeigt mit dem Finger in Richtung der Scheune. « Er ist dort unter dem Heuhaufen! »
« Sehr gut mein Kleiner, du hast richtig gehandelt!“ Der Hauptmann schnellt zu seinen Leuten herum: « Umstellt die Scheune, er ist unter dem Stapel Heu! »
Einige Gendarmen umstellen die Scheune, die anderen stürmen sie mit ihren Gewähren, geladen und bereit zum schießen …
Zu Furtunatu schallt lautes Geschrei und Gemenge hinüber, gerade als er seine Eltern auf dem Maultier in den Hof einreiten sieht. Matteo und seine Frau werden Zeugen der Verhaftung. Der Bandit schreit wütend über den Verrat, bezichtigt das Haus Falcones als das Haus eines Verräters, bevor er von den Gendarmen abtransportiert wird.
Matteo Falcone kommt über diese Beleidigung, die zumal noch eine wahre Anschuldigung ist und über das gebrochene Versprechen seines Sohnes nicht hinweg und erkennt in ihm einen Verräter. Einen Verräter der übelsten Art, da er sich noch für seinen Verrat, hat bezahlen lassen.
Gemäß dem korsischen Ehrenkodex sieht er sich gezwungen, seinen Sohn zu bestrafen.
Er führt ihn schweigend in die Maquis, die weinende und flehende Mutter hinter sich lassend.

Wenig später unterbricht ein schallender Gewehrschuss das Grillenzirpen, der gespenstisch in den Bergen widerhallt … und Matteo Falcone kehrt allein zum Haus zurück …


© Miluna Tuani


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