Mittwoch, 9. März 2011

Mittwoch, 9. März 2011




Fortsetzung zu « Fast zweimal schief gegangen… » Teil 2 Wochenthema das Hochplateau von Cosciune

Nun folgte ein recht steiler, insgesamt unangenehmer Abstieg zur Hütte. Der Nebel blieb dicht, und nach unseren Berechnungen und den Beschreibungen im Reiseführer, hätten wir die Unterkunft schon lange erreichen müssen. Wir waren lange den Markierungen gefolgt, doch an einer Stelle trennten sie sich, wir bogen nach rechts ab, und im Dunst hatten wir anscheinend die Markierung übersehen und waren immer weiter ins Innere gelaufen… und das stundenlang! Irgendwann waren wir sicher: Wir hatten uns verlaufen. Doch als der Nebel sich legte kamen wir in einer Art Tal an, vor uns breitete sich eine grüne Ebene aus, durch die ein Bächlein floss, umsäumt von einigen Bäumen, Felsbrocken reihten sich an, am Horizont konnte man eine Art Wald ausmachen, Buschwerk breitete sich überall aus, einzelne Baumgruppen reihten sich dicht aneinander. Das schien uns das perfekte Plätzchen, um Rast zu machen. Mein Vater schaute sich um und entschloss hier über Nacht zu bleiben, um die notwendigen Fotos vom Sternenhimmel zu machen. Wir hatten freien Blick ins Zentrum, und auch ein wenig gen Osten und Süden …
Also suchten wir ein geeignetes Plätzchen, um unsere Minifaltzelte aufzustellen. Doch da gab es ein Problem, wir hatten einen Sack Proviant gegen den Zeltsack ausgetauscht, den Proviant geleert um noch die Fotoausrüstung darin zu verstauen. Nicht so schlimm, wir hatten ja auch jeder seine Aluwärmedecke dabei und außerdem war es Sommer und die Sommernächte waren lau (Sicher, aber sie sind auch sehr feucht! Vor allen Dingen im Hochgebirge!).


Wir hatten uns eine Baumgruppe mit einigen glatten und flachen Felsen als Nachtquartier ausgesucht, und richteten unsere Lager ein. Uns blieb als Proviant gerade noch ein Stück Brot, ein Zipfel Eselsalami, eine Zitrone und zwei Kraftriegel, Wasser hatten wir ja am Bach genug…Wir verspeisten unser „Abendessen“ und hoben die Zitrone und die Riegel für den kommenden Tag auf. Dann bauten wir unsere Astrofotogeräte auf und warteten auf die Nacht, die bald kam, und eine enorme Woge von Feuchtigkeit mit sich brachte, denn der aufgelöste Nebel fiel herab. Das hatte zur Folge hatte dass die Objektive unserer Kameras und des transportablen Miniteleskops ständig von der Feuchtigkeit anliefen. Mein Vater fluchte verärgert, wischte hier und da und überall herum, doch es nütze nichts, er wusste, dass auf den teuren Hochempfindlichkeitsfilmen nichts drauf sein würde, als die Spuren verschmierter Wassertropfen, also gab er auf. Wir bauten alles ab, und verkrochen uns dass auf einen glatten „Bettstein“ und gewickelten uns in unsere Aluwärmedecken ein, da die Feuchtigkeit uns in die Knochen kroch und wir schon wie durchgeweicht waren.

Unser Zähneklappern übertönte unser Magenknurren, aber ich beschwerte mich nicht, ich fand diese Art von Abendteuerwanderungen einfach aufregend und schön, so völlig im Schoße meiner Mama Corsica zu ruhen, den schwarzn sternenübersäten Himmel zu betrachten, die Sternschnuppen fallen zu sehen, den Stimmen der Nacht zu lauschen: Ja, das war für mich das höchste Glück. Mein Vater dagegen war etwas besorgter, kalkulierte, studierte nochmals die Karten im Schein der Solartaschenlampe, adjustierte den Kompass, denn dank unseres lieben Polarsterns wussten wir ja, wo Norden war, um sicher zu gehen, dass wir morgen den Weg, sprich den GR20 wiederfanden.

Einige Kühe gesellten sich zu uns, ich überlegte, ob die eine mit dem dicken vollen Euter wohl etwas dagegen hätte, wenn ich ein wenig Milch abzapfen würde, doch als ich nach ihr rief, drehte sie sich schnaubend um, zeigte mir ihren Hintern und balancierte uns einen riesigen, dampfenden und stark stinkenden Fladen vor die Nasen…

Mein Vater sagte mir, dass ich mir daran die Hände wärmen könnte, und ich entgegnete: „Danke sehr, aber so kalte Hände habe ich nun auch nicht!“
Einige Schweine grunzen in der Nähe, ein Nachtvogel kauzte, es raschelte im Gebüsch und in der Ferne hörte man einen eigenartigen Tierschrei, der mir die Gänsehaut aufsteigen ließ … wahrscheinlich ­ eine Malacella, eine Art Eule (nur komisch, dass der Schrei vom Boden her kam – wir wussten damals nicht, dass es auf Korsika von Füchsen nur so wimmelt! (Dazu noch von hungrigen Füchsen!!!) Aber nichts ließ meine himmlische paradiesische Ruhe stören, ich schlief dann sogar auf meinem luxuriösem bequemen Steinbett ein, da mir mein Vater versicherte, Wache zu halten.

…Erst als die Sonne mir ins Gesicht schien, wachte ich auf. Ich rollte mich von einer Steinliege schaute mich um und entdeckte meinen Vater, der gerade nach einem Bad aus dem Bach stieg. Er trocknete sich auf einem Felsen in der Sonne, wie auch seine Kleidung, auf einem Busch neben ihm. Dabei lutschte er eine halbe Zitrone aus. Ich nahm dann auch mein Bad, das Wasser war kalt aber erfrischend. Schließlich mischte ich meine Wasserflasche mit meiner halben Zitrone (ein wirklich erfrischendes Frühstück!), dann machten wir uns abmarschbereit. Mit Hilfe des Kompass in der Hand orientierten wir uns, und liefen einfach in die kalkulierte Richtung, der Bergerie, bei der wir unser Auto hatten stehen lassen. Wir überquerten eine weitere weite Ebene, erklommen Hügel, Berggruppen, durchquerten einen dunklen Wald, und siehe da, wir stießen wieder auf die Markierung der GR20, kurz vor der Hängebrücke, die wir beim Aufmarsch überquert hatten. Mein Vater war sichtlich erleichtert, anscheinend hatte er sich mehr Sorgen gemacht, als er zugeben wollte …

… nach kurzen Pausen dann kamen wir am frühen Nachmittag endlich wieder bei der Bergerie an, die nun scheinbar belegt war. Einige Geländewagen standen davor. Wir legten zuerst unser Gepäck im Auto ab, zogen uns um, dann schlug mein Vater vor, in der Bergerie zu fragen, ob sie nicht frischen Käse, Wurst und Brot verkauften (denn bei einem Aufenthalt im vorigen Jahr hatten wir ein Schild mit etwa Verkauf von Proviant entdeckt!), da uns im Wagen auch nur noch einige Trockenriegel blieben und wir darauf irgendwie keinen Appetit hatten.



Also machten wir uns auf, mein Vater klopfte an die Holztür, aus dem Inneren klangen laute grobe Männerstimmen, und die Tür wurde schwungvoll geöffnet, wie immer schob mich mein Vater vor, damit ich in Französisch unsere Frage zu stellen; ein weißbärtiger, rotwangiger Herr in Hirtenkleidung öffnete die Tür und schaute uns wie zwei eben gelandete Außerirdische an. Hinter im lugten seine Kumpanen zu uns hinüber.

„Äh, Verzeihen Sie die Störung, aber wir kommen gerade vom Alcudina, und unser Proviant ist aufgebraucht, da wollten wir sie fragen, ob sie eventuell, Brot, Käse und Wurst verkaufen…“
Wir ernteten erst ernstes Schweigen, dann lachte der Hirte laut auf, und rief, „Na dann kommt mal rein, sicher, wir haben alles da, setzt euch, liebe Wanderer, ihr kommt also vom Alcudina, wie war es denn da oben? » –
Fein, das Eis war scheinbar gebrochen, wir traten ein und setzten uns auf die quietschende Holzbank, es roch stark nach Rauch und Gebratenem, aromatischen Käse, Hartwurstwaren und anscheinend frischgebackenem Brot und nach einem süßlich würzigen Alkohol; die anderen Anwesenden schüttelten uns die Hände, und einige jüngere Männer starrten mich von Kopf bis Fuß an (ich hatte doch besser meine lange Wanderhose anbehalten sollen, ich fühlte mich da in meiner kurzen Shorty etwas unwohl…).
Man setzte uns eine magenfeste Hirtenmalzeit vor: Brot, Ziegenkäse, (den besten, den ich je auf Korsika gegessen habe: Würzig schnittfest, weiß und frisch auf der Zunge zergehend), rohen würzigen Schinken (ebenso urig mit einmaligem rauchigen Geschmack), und wir bedienten uns hungrig, dazu schenkte man uns diesen würzig süßen Wein ein, den mein Vater begeistert leerte, ein Glas nach anderen; ich lehnte ab und wurde wie entgeistert angeschaut, ich erklärte, ich müsste nachher fahren, aber scheinbar verstanden sie das nicht, wie dem auch sei, mein Vater begann zu erzählen, ich machte den Bericht von unserer Tour, und die Stunden vergingen, der alte Hirte stellte viele Fragen, ich dolmetschte, von einem zum anderen, hatte dann aber bald genug und flüsterte meinem Vater zu, das er immer „oui oui“ antworten solle, was er dann auch tat, schon sehr angesäuselt vom süßen Muskatwein.

Dann auf einmal bat mich der alte Hirte, mit seinem jüngeren Sohn ein wenig nach draußen zu gehen, er würde mir die Pferde zeigen, da er etwas mit meinem Vater unter vier Augen besprechen wollte. Ich dankte zufrieden, endlich aus diesem stickigen Raum herauszukommen, denn mir blieb allmählich die Luft weg. So folgte ich dem jungen Hirten, der ja so außergewöhnlich „hübsch“ war, dass ich ihn im Stillen « Quasimodocorso » nannte. Er hatte ein Auge schief stehen und schielte auf seine völlig verunstaltete und verformte Nase, die Ohren hingen wie Kohlblätter herab, sein Mund hatte die Form einer Person, die gerade hundert Zitronen verspeist hatte, sein ganzes Gesicht war verpickelt, und beim Sprechen,stotterte er so extrem, das man kein Wort verstand.

Er rief mir zu: „Koooo—oooo—-mmmm—-mmmmn i i i i iccciiicchhh z z zz zzeeeeeiii ggggeeeeeeeeee dddiiiiiirrrrrrrrrrrrrr dddddddddiii Pfffffeeeeeeee———–rrr———ddd——-eeeeeee“, und ich folgte im zu der höher gelegenen Koppel. Ich hatte mir meinen Strohhut aufgesetzt, da die Sonne zu stechen begann. Oben angekommen, pfiff er erstaunlich stark und sprühte dabei eine Welle Spucke in die Luft, ach ja, er hatte fast keinen Zahn im Mund!!!

Einige wunderschöne Pferde kamen angaloppiert, ich nährte mich ihnen und er gab mir hartes Brot, um sie damit zu füttern; sie ließen sich streicheln und schnüffelten mir ganz sanft die Hände ab.
Er nahm wieder das Wort auf, und für diesen Satz brauchte er fast eine halbe Stunde. Hier die Übersetzung:
„Das sind alles unsere Tiere, wir züchten sie und verkaufen sie dann die Reitställe hier in der Gegend, wir haben auch Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe, meinem Vater gehören all diese Tiere, die hier in der Saison frei auf dem Plateau leben… Wir haben ein großes Anwesen, das letzte Haus nach dem Dorf auf der rechten Seite, wo meine Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, meine Schwestern, mein Bruder mit seiner Frau und ich leben, wir haben Hühner, Enten, Gänse, einen großen Obst – und Gemüsegarten, Esel, Hunde, Katzen… und ich bin der François!“ Ich erwiderte: „Das ist ja wunderschön, ihr lebt also alle hier in dieser zauberhaften Hochebene, welch eine Chance!“
Er antwortete mit einem giggligen krächzendem Lachen „Ja, ja, ja, ja…“




Dann begann er Blümchen zu sammeln, nahm mir meinem Strohhut ab und befestigte sie darauf, und setzte ihn mir wieder auf, mich dabei mit verliebten Augen und einem schalkigen fratzigen Lächeln anschauend. Ich zog mich ein wenig zurück, sagte nur „Danke sehr“ und begann nach unten zur Hütte zu laufen, da öffnete sich die Tür und der alte Hirte rief mir zu, „Hoho, komm mal schnell her, wir brauchen da jemanden zum Übersetzen! »

Ich beeilte mich und ging wieder in die rauchige Hütte hinein und setzte mich. François war mir gefolgt und blieb wie eine Wachsfigur hinter mir stehen. Mein Vater schien ziemlich betrunken vom schönen Wein, aber es gelang ihm doch mir zu erklären, dass der alte Hirte da auf ihn eingeredet hätte, ihm seinen Ring zeigte, und nun auf seine Antwort wartete, da er aber nichts und rein gar nichts verstanden hatte, blieb ihm nur „oui oui“ zu sagen, wie ich ihm es aufgetragen hatte, nun beharrt der alte Hirte darauf, dass er ein Papier unterzeichnen sollte, also frage ihn doch bitte was er will, möchte er mir seinen Ring verkaufen? »

Ehe ich noch fragen konnte, erklärte der alte Hirte auch schon sein Anliegen…und mir schoss das Blut in den Kopf…Ich glaubte nicht, was ich da hörte…


Fortsetzung folgt…

Herzlichst,
Ihre Miluna






© Miluna Tuani



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